„Du willst doch nicht wirklich nach Naziland ziehen!?“ – Ungläubigkeit, Entrüstung, vielleicht auch Warnung stecken in diesem Satz eines Freundes. Ich habe gerade erzählt, wie nervig die Fernehe zwischen Rostock und Bremen ist. Erst recht jetzt, nachdem das K1 auf der Welt ist. Wir wollen sesshaft werden, zur Ruhe kommen, dem Baby ein festes Zuhause geben. Und dafür gucken wir uns um, nach Häusern, Grundstücken, größeren Wohnungen – in Bremen, wie auch in Rostock. „Nein, mich zieht es nicht nach Naziland.“, gebe ich etwas kleinlaut zurück.
Ein paar Wochen ist dieses Gespräch nun her. Es brannten noch nicht täglich Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland und der Brandanschlag auf die Familie Lohmeyer im mecklenburgischen Jamel lag noch in der Zukunft.
Dennoch eilt Mecklenburg-Vorpommern ein schlechter Ruf voraus. Klar, die Menschen machen hier gern Urlaub, an der Ostsee und an den vielen Seen. Aber hier leben? Leben in einer Region, die fest in der Hand von Nazis ist, wo rechter Terror (nennen wir es deutlich beim Namen) an der Tagesordnung ist?
Nein, hier möchte ich mein Kind nicht großziehen. Wie soll ich meinem Kind Weltoffenheit und Respekt vor allen Menschen beibringen, wenn um uns herum nur kleingeistiges Denken vorherrscht.
Aber: Naziland ist überall!
Die Ereignisse der letzten Wochen, im Grunde der letzten Monate, haben gezeigt: Naziland ist überall. Selbst in Bremen konnte die AfD mit ihrer rechten Grundhaltung vier Mandate bei der Bürgerschaftswahl erzielen, die Bürger in Wut (BiW) sind sowieso seit längerem Dauergast im Parlament. Flüchtlingsunterkünfte brennen nicht nur im ostdeutschen Raum, sondern eben auch in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Rechtes Gedankengut („Ich bin kein Nazi, aber…“) ist im täglichen Gespräch wieder salonfähig geworden („Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“).
Der Nazi ist mitten unter uns, steht im Supermarkt an der Kasse vor uns, spielt mit seinen Kindern auf dem Spielplatz, sitzt am Frühstückstisch neben uns. Selbst im Verwandtenkreis fallen Sprüche wie: „Die [die Asylbewerber] können sich bessere Kleidung leisten als ich und rennen mit den neuesten Smartphones herum!“ Und diese Menschen mit mir am Frühstückstisch tragen keine Springerstiefel oder haben eine Glatze. Es sind Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, Menschen, die ich mag, Menschen, deren Meinung ich in anderen Punkten schätze. Wenn Naziland sogar in den eigenen vier Wänden ist, hilft nur die Rückeroberung. Mit Argumenten, Fakten, Erfahrungen.
„Dagegen halten, Mund aufmachen“
Ein „Aufstand der Anständigen“ muss her, „Dagegen halten, Mund aufmachen“, wie Anja Reschke es hier fordert:
Dieser Beitrag ist ein Versuch des „Dagegen halten“, so wie auch viele andere Blogger unter dem Hashtag #bloggerfürflüchtlinge gegen rechtes Gedankengut anschreiben.
Wissen wir eigentlich, was für ein Glück wir haben? Wir sind in einem Land geboren, in dem seit über 70 Jahren kein Krieg herrscht. Unser Reisepass öffnet uns Tür und Tor für die Welt, ohne umständliche Visa-Verfahren. Unser Sozialsystem ist nicht perfekt, aber bietet doch eine Sicherheit, die es so in anderen Ländern nicht gibt. Und wem verdanken wir dieses Glück? Nicht uns selbst. Denn unser eigener Beitrag dazu ist schwindend gering. In erster Linie hatten wir einfach nur das unglaubliche Glück, im richtigen Land geboren worden zu sein. Mit welchem Recht also verwehren wir anderen, weniger Glücklichen, die Teilhabe an unserem Glück? Und gerade die Menschen, die in die DDR hineingeboren wurden, sollten dankbar für das Glück sein, mit mehr oder weniger friedlichen Mitteln Teil eines demokratischen Landes mit allen damit verbundenen Freiheiten geworden zu sein.
Meine eigene Familiengeschichte beginnt mit einer Flucht (in älteren Kreisen „Vertreibung“ genannt), denn über die Zeit vor 1945 spricht ja niemand. Ich habe das DDR-Regime noch kennengelernt, die Freude meiner Familie über den Mauerfall und all die Möglichkeiten, die sich uns plötzlich boten. Wer weiß, wo wir heute wären, hätte es nicht die Massenflucht über die ungarische Grenze oder hinein in die Prager Botschaft gegeben. Vielleicht würde ich hinter dem Eisernen Vorhang von der Welt träumen, statt sie zu bereisen.
Und meine Geschichte ist kein Einzelfall. Es ist die Geschichte von Tausenden. Ich kann nicht verstehen, wie diese Tausenden, mit ähnlichen Geschichten, jetzt gegen andere Flüchtlinge vorgehen können. Wart ihr denn nicht dankbar für euer erfolgreiches Ausbrechen aus repressiven Verhältnissen? Habt ihr denn nicht freudig das Begrüßungsgeld in Empfang genommen?
Ich möchte jetzt nicht das Leben in der ehemaligen DDR mit den Kriegsverhältnissen in Syrien, Afghanistan, Lybien etc. vergleichen – das geht so nicht. Fakt ist: Die Menschen, die jetzt zu uns fliehen, haben großes Leid erlitten. Sie haben einen harten Weg auf sich genommen, um ihr Leben und das ihrer Angehörigen zu retten. Sie sind sicher nicht freiwillig auf diese Reise gegangen. Krieg, Unterdrückung, Gewalt haben sie aus ihrem Zuhause vertrieben, einem Zuhause, in dem sie glücklich waren, Arbeit hatten, Familie und Freunde um sich. Sie haben ihre Heimat verlassen, um ihre blanke Haut zu retten.
Und dann haben sie endlich die Reise überstanden, in ein scheinbar friedliches Land und was tun wir? Wir greifen sie an, mit Worten und mit Taten. Als hätten diese Menschen nicht schon genug erlebt, finden sie auch bei uns keinen Frieden.
So sind wir doch gar nicht. Wir berufen uns historisch auf christliche Werte und gehen dann so mit Menschen um, die unsere Hilfe erbitten? Das können wir doch besser.
Helfen, aber richtig
Seht euch um in eurer Stadt. Schaut, wo ihr helfen könnt – mit Zeit- und Sachspenden. In Bremen ist die erste Anlaufstelle dafür „Gemeinsam in Bremen“, damit Hilfe auch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Auch in anderen Städten gibt es ähnliche Projekte. Über Facebook fallen mir fast täglich neue Initiativen auf.
Auch Geldspenden an Flüchtlingsinitiativen sind gern gesehen. Spenden könnt ihr zum Beispiel an:
- Fluchtraum Bremen
- Refugio
- oder direkt hier zur Initiative „Blogger für Flüchtlinge“.
Zeigt den Geflüchteten, wie Willkommenskultur geht, mit Freundlichkeit, Respekt, Hilfe. Habt keine Angst vor dem vermeintlich Fremden. Die Geschichte lehrt uns, dass Fortschritt durch Wandel passiert und Wandel immer dort geschieht, wo verschiedene Kulturen aufeinandertreffen.
Dies ist ein Beitrag im Rahmen der Aktion „Blogger für Flüchtlinge„. Kommentare werden moderiert. Ich behalte mir das Recht vor, die Kommentarfunktion abzustellen.
Pingback: Geflüchtet – und aufgenommen oder abgelehnt | Portionsdiät
Pingback: Deutlich sein | Pia Ziefle | Autorin